Die jüdische Gemeinde Monzingen Erinnerungen an die jüdischen Familien Erzählungen Monzinger Bürger, ergänzt durch Recherchen in amtlichen Unterlagen und Katastern von Monzingen Erinnerungen an einzelne Familien sind bei den heutigen Bewohnern nur noch spärlich. Die meisten Monzinger glaubten bisher, Monzingen hätte überhaupt keine jüdische Vergangenheit, nur weil es hier keine Kristallnacht gegeben hat. Stellt man aber gezielte Fragen, erinnern sich dann doch wieder etliche an die Trümmer der Judenschule und den ehemaligen Judenfriedhof und geben zu, dass da ja mal eine jüdische Gemeinde gewesen sein muss, wenn auch nicht mehr zur Zeit des Hitler-Regimes. Auch dass Nachbarn oder Vorfahren Häuser aus jüdischem Besitz gekauft hatten, fällt dann manchem wieder ein. Etliche ältere Personen wissen Einzelheiten durch Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern. So blieb die Familie Mayer noch lange im Gedächtnis der Nachbarn. Mayers wohnten 40 Jahre lang mitten im Dorf in der heutigen Hauptstr. 65. Jakob Mayer war Handelsmann, Kaufmann und Metzger. Nachbarssohn Phi-lipp Alt erzählte seinen Töchtern später oft von Jakobs Sohn David, dem letzten Spross der Mayers im Haus mit der damaligen Nr. 170. David war ebenfalls Kaufmann, Händler und Metzger. (Vgl. S. 12) Er handelte mit Getreide und Saatgütern, aber auch mit Vieh und allem, was bei den Bauern so anfiel. Als junger Bursche begleitete Philipp ihn häufig in die umliegenden Dörfer zu den einzelnen Bauern und lernte dadurch auch die Umgebung gut kennen. Als Transportmittel für das eingekaufte Vieh benutzte David eine kleine Karre, vor die er seinen Hund spannte. Eine solche Hundekarre war in der damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches. Als am 20.02.1899 der Metzger Isaak Metzler aus Sobernheim in der Woh-nung des Monzinger Metzgers Carl Dickenschied einen Schlaganfall erlitt und tot umfiel, wurde auch dessen Leiche „mittels Fuhrwerk des Herrn David Mayer nach Sobernheim zu seinen Angehörigen ge-bracht“19. Davids Ehefrau Delphina soll eine sehr vornehme, gütige Frau gewesen sein. Sie hatte guten Kontakt zu allen Nachbarn und pflegte die Beziehungen zu ihnen. An Weihnachten kam sie den Christ-baum besichtigen, was unter den christlichen Nachbarn der Brauch war, obwohl sie als Juden natürlich keinen aufgestellt hatten, und verteilte auch immer, wenn sie Matzen gebacken hatte, einen Teil davon 10 in der Nachbarschaft. Philipp bekam sogar von ihr zu seiner Konfirmation im Jahre 1902 das obligatori-sche Gesangbuch geschenkt, das er hoch in Ehren hielt.20 Elfriede Deflize erzählte ihrer Tochter früher oft von der Krämerin „Emmilchen“ (Emilie Ullmann geb. Haas), die im Haus Nr. 229 gewohnt und dort einen kleinen Lebensmittelladen betrieben hatte. Elfriede ging täglich auf ihrem Schulweg an dem Haus vorbei und bekam beim Einkauf immer ein Bonbon ge-schenkt. Emilies Sohn verkaufte das Haus 1924 an seinen Freund Jakob Deflize, den späteren Schwieger-vater von Elfriede, und emigrierte nach England. Er kam später noch mehrmals nach Deutschland (Schwester Berta und Schwager Penas Wolff wohnten in Frankfurt), besuchte dann auch Monzingen und die Familie Deflize. Seine Lieblingsspeise soll dann Schwartenmagen gewesen sein, den er als Jude ja zu Hause nicht essen durfte.21 An die „Ullmanns-Bas“22, nach 1924 die einzige Person jüdischen Glaubens in Monzingen, erinnern sich mehrere Zeitzeugen, die als Kinder sie noch persönlich gekannt haben. Die ältere Witwe hat 40 Jahre lang in Monzingen gelebt. Sie wohnte im Niederviertel, im Haus Nr. 68 (heute Bachstraße 3), dem Eltern-haus ihres verstorbenen Ehemannes. Seit 1907 war sie bereits Witwe, ein Antrag auf Kleinstunterstüt-zung wurde am 19.03.1924 vom Gemeinderat abgelehnt „mit Rücksicht auf das Hausgrundstück und die Unterstützung durch Verwandte“23. Wie sie ihrer Nachbarin anvertraut haben soll, war eine ihrer größ-ten Sorgen, an einem Sabbat zu sterben, weil sie nach ihrem Tod nicht unversorgt bis zum nächsten Tag liegen bleiben wollte. Die Vorschrift, am Sabbat keine Arbeit zu verrichten, hielt sie jedoch streng ein. Samstagsmorgens ging daher Nachbarin Katharina Schmitt ins Ullmannsche Haus und zündete das Feuer im Ofen an. In den dreißiger Jahren übernahm dann meist deren Sohn Helmut diese Tätigkeit. Auch Phi-lipp, ein noch lebender Zeitzeuge, hat einige Male am Sabbat für die „Ullmanns-Bas“ das Feuer ange-zündet. Er bekam dann jedes Mal zum Dank eine Matze. Zum Passahfest backte Jettchen Ullmann sehr viele Matzen, die Irmgard Schmitt dann in ihrem Auftrag in der Nachbarschaft austeilte. Dafür bekam diese dann von den Nachbarn Ostereier geschenkt. Wenn die Verwandten der Nachbarn aus der heuti-gen Ringstraße geschlachtet hatten, brachte deren Sohn Hans auch zur Witwe Ullmann etwas vom frisch Geschlachteten, und sie dankte ihm mit ihrer etwas dunkleren Stimme im Monzinger Dialekt: „Waart, mei Bub, kriescht aach e Matze.“ - Ob dieses Geschlachtete aber koscher war, konnte ich nicht in Erfah-rung bringen, vermutlich war das nicht der Fall. Es wird sich damit wie mit dem Schwartenmagen von Familie Deflize verhalten haben. Und auch von David Mayer wurde erzählt, dass er bei den Bauern mit Vorliebe ein Stück Schinken gegessen hat.24 Ab Mitte der dreißiger Jahre saß Jettchen Ullmann dann meistens in ihrem Haus am Fenster oben rechts (X) und beobachtete das Leben auf der Straße. Kam eines der Nachbarskinder vorbei, warf sie ein paar Münzen eingewickelt in Zeitungspa-pier auf die Straße hinunter und die Kinder liefen dann für sie zum Metzger oder Bäcker. In den Jahren 1937 bis 1938 brachte Nachbarin Katharina Glaser ihr re-gelmäßig Milch, die sie heimlich abends vor die Tür stellte. - Offenbar hatte man auch in Monzingen irgendwelche Aufpasser zu befürchten, sonst hätte dies nicht „heimlich“ geschehen müssen. - Beim Verlassen ihres Hauses 1938 soll sie er-bärmlich gejammert haben. „Mein Häuschen, mein Häuschen!“, habe sie immer wieder gerufen. So erzählte die Nachbarin Johanna Hennemann später ihrer Tochter.24 Viele Monzinger glaubten, sie sei von den Nazis abgeholt worden. Einer sprach von einer sogenannten „Nacht-und-Nebel-Aktion“. Doch laut Informationen von der Familie Marum an H. E. Berkemann wurde sie von Alfred Marum, dem jüdi-schen Fabrikanten in Sobernheim, in ein Altersheim nach Mannheim gebracht. 11 Aus Jettchens Briefen (siehe Seite 11) kann man entnehmen, dass Frau Loeb, die Schwiegermutter von Alfred Marum, sie in Monzingen des Öfteren besucht hatte. Offenbar hat die jüdische Gemeinde So-bernheim sich generell um die alleinstehende Witwe gekümmert. So wird von Margot Lebach berichtet, dass sie regelmäßig zu Fuß nach Monzingen ging, Jettchen zum Synagogenbesuch in Sobernheim abhol-te und hinterher auch wieder zurück brachte.25 Nach zwei Jahren im Altenheim in Mannheim wurde Jettchen Ullmann im Rahmen der von den Gaulei-tern Josef Bürckel und Robert Wagner angeordneten „Umsiedlungsaktion“ zusammen mit den andern Heiminsassen am 22.10.1940 nach Südfrankreich in das Lager Gurs deportiert.26 Es existieren noch drei Briefe von ihr, die sie von Gurs aus an Frau Loeb und die Familie Marum in die USA geschrieben hat und die nach dem Krieg dem Leo-Baeck-Institut in New York übergeben wurden. Den dritten Brief schrieb sie am 19. Au-gust 1941. Danach verliert sich ihre Spur. Ob sie noch in Gurs verstorben ist oder auf dem Transport in ein Konzentrations-lager, war bisher nicht zu ermitteln. Auf den Listen im Gedenkbuch des Bundesarchivs ist sie nicht zu finden. Rechts: Letztes Lebenszeichen vom Henriette Ullmann, Kopie des Briefs vom 19. August 1941, Original im Leo-Baeck-Institut in New York Doch drei andere ehemalige Monzinger findet man in diesem Gedenkbuch, zwei davon unter dem Stichwort „geboren in Monzingen“. Else Ermann geb. Mayer, * 29.10.1903 in Monzingen, die Tochter von David Mayer und Delphina August, Ostern 1910 noch in die Evangeli-sche Volksschule in Monzingen eingeschult, war ab 14.07.1919 in Saarbrücken, Karcherstraße 6 wohnhaft. Sie heiratete Willi Ermann aus Holz (heute: Heusweiler-Holz). Ihre Tochter Lieselotte wurde am 08.01.1926 in Saarbrücken geboren. Am 23.06.1943 wurde Else mit Transport Nr. 55 von Drancy nach Auschwitz deportiert; Ankunft am 25.06.43, danach verschollen.27 Foto links: Else Ermann mit Tochter Lilo (Quelle: Yad Vashem, Foto-Archiv)28 Das zweite Holocaust-Opfer ist Rosa Jakob geborene Ullmann, * 04.04.1860 in Monzingen, Tochter von Aaron Ullmann und Sara Mühlstein, verheiratet mit Joseph Jacob (1861 – 1924). Auch sie war wohnhaft in Saarbrücken. Sie wurde am 15.06.1942 mit einem Transport aus Köln nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 11.12.1942 im Ghetto verstarb.29 Das dritte Opfer ist zwar nicht in Monzingen geboren, hat aber mehrere Jahre hier gelebt. Penas Paul Wolff, * 1878 in Wawern, heiratete am 04.09.1908 in Monzingen Berta Ullmann. 1910 wurde auf den Liegenschaftsblättern des Katasteramtes das Ehepaar als Besitzer des Hauses Nr. 209 (heute Hauptstr. 43) 12 mit Nebengebäuden und Garten eingetragen. In diesem Haus wohnten die beiden bis 1920. Dann ver-kauften sie ihren Besitz an Jakob Alt und zogen um nach Frankfurt. Penas Wolff wurde am 22. November 1941 nach Kowno (Kauen) Fort II deportiert, wo er 3 Tage später starb.30